Mano hatte im letzten Jahr die Oberlausitz besucht und darüber berichtet. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Es hat mich zu dieser neuen Serie inspiriert. Denn ich merkte, dass es viel zu erzählen gibt und ich als Ureinwohnerin und als Historikerin dafür genau richtig bin. Jeden Monat dieses Jahres werde ich einen Artikel zur Oberlausitz und zu Herrnhut schreiben. Beginnen wir heute damit, wie man in der Oberlausitz ankommt.
Wenn ich von der FernUni in Hagen nach Hause fahre, brauche ich mit der Bahn etwa 8 Stunden, bis ich angekommen bin. So weit weg, sozusagen am Ende der Welt ist das also? Das fragt man mich manchmal. Für mich ist es die Mitte meiner Welt, in der Prag und Breslau nah genug für einen Tagesausflug sind. Hier in der Oberlausitz ist meine Heimat.
Aber meine Heimat könnte auch das Vogtland oder der Odenwald sein. Wenn meine Familie dort angekommen wäre. Meine Oma flüchtete zusammen mit Mutter und Schwester und ihrem Baby 1945 aus einem schlesischen Dorf am Bober. In Görlitz mussten sie bleiben, weil das Baby krank wurde und später starb. Weil die Stadt voller Menschen war und es nichts zu Essen gab, suchten und fanden sie Unterschlupf in einem Dorf in der Nähe. Dort fand mein Opa sie ein Jahr später, als er aus der Kriegsgefangenschaft heim kam.
Er wurde schnell zu Arbeiten eingesetzt. Die Kleinbahnlinie zwischen Herrnhut und Bernstadt sollte abgebaut und als Reparationsleistung an die Sowjetunion gehen. Während dieser Arbeiten kam mein Opa zum ersten Mal nach Herrnhut. Im Gespräch ergab sich, dass er als Friseur hier besser zu gebrauchen wäre, als beim Schienen abbauen. So bekam er die Zuzugsgenehmigung für sich und seine Frau und ein Zimmer zum Wohnen zugeteilt. Seitdem wohnten beide in Herrnhut und blieben ihr ganzes Leben lang hier.
Mein Vater wurde als erstes Kind hier geboren und viele weitere Kinder folgten. Die Eltern meiner Mutter sind beide auf ähnlichen Wegen aus Schlesien in die Oberlausitz gelangt, in denen mehr der Zufall als ein bewusst gewähltes Ziel das Ende der Flucht bestimmten. So ist die Oberlausitz die Heimat meiner Familie geworden.
Herrnhut als neue Heimat war ein besonderer Ort, das merkten meine Großeltern schnell. Der Ursprungsort der Herrnhuter Brüdergemeine hat eine ganz eigene Prägung. Und er ist 500 Jahre jünger als all die Dörfer rundum. Anfang des 18. Jahrhunderts kamen Glaubensflüchtlinge aus Mähren hier an und durften sich sich ansiedeln. Doch von den Anfängen in Herrnhut berichte ich im Februar ausführlich.
Die Parallelen der Ortsgeschichte von Herrnhut zur aktuellen Flüchtlingssituation in Deutschland sind uns hier präsent. Das führt zu besonderer Sensibilität und Engagement. Und viele haben eine ähnliche Familiengeschichte wie die meine. Vielleicht trägt das dazu bei, das es hier im Landkreis kaum Übergriffe auf die Asylanten gibt. Ein Grund mehr, meine Heimat zu lieben.
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mano (Donnerstag, 28 Januar 2016 13:07)
vielen dank, liebe lucia! ich freue mich sehr über deinen artikel und die weiteren, die noch kommen werden. die oberlausitz habe ich wirklich in bester erinnerung und ich werde sicher nicht das letztemal dort gewesen sein.
liebe grüße von mano
Edith (Donnerstag, 28 Januar 2016 15:21)
Hallo, ich mag es, wenn die Geschichten von früher aufgeschrieben werden und für die nächste Generation nachzulesen sind. Auch meine Eltern waren Flüchtlinge aus Westpreußen. Ich habe meine 'Erinnerungen gegen das Vergessen' aufgeschrieben. Als ich endlich Zeit hatte, war mein Vater nicht mehr da. Ich hätte noch viele Fragen an ihn gehabt. Liebe Grüße Edith
Birgitt (Donnerstag, 28 Januar 2016 22:18)
...auf gleiche Weise kamen meine Eltern als Kinder beide nach Leipzig, liebe Lucia,
auch aus Schlesien...
schön, dass du etwas aus deiner Heimat erzählst, ich freue mich schon auf die weiteren Teile,
lieber Gruß Birgitt
Sigrun (Dienstag, 16 Februar 2016 13:49)
So...jetzt höre ich erst mal auf, hier auf deinem Blog zu lesen, aber dieser Artikel war auch sehr interessant. Mein Vater stammt auch aus Schlesien, er ist allerdings bis in die Nähe von Grimma geflüchtet. Dort hat er meine Mutter kennengelernt und sie gingen später nach Dresden. Herrenhut kenne ich nur vom Durchfahren und vom Stern natürlich..:-)) Interessant, dass du nun mehr darüber berichtest.
LG Sigrun