Der verzagte Engel - eine Weihnachtsgeschichte

Der verzagte Engel

Gott hatte ihn als Engel auf die Erde geschickt. Er sollte den Menschen beistehen. Aber sobald er auf die Welt kam, spürte der Engel eine große Last auf seinen Schultern. So glaubte er nicht daran, dass er hier als Engel lebenwürde. Ich muss diese Last loswerden, bevor ich anderen helfen kann, dachte er und versuchte alles, um die Schultern frei zu bekommen.

 

Fragte ihn ein armer Mensch: „Kannst du mir helfen?“ dann sagte der Engel: „Nein, ich komme selbst nur gerade so zurecht. Ich kann nichts für dich tun.“ So ging der Engel ruhelos durch die Welt, den Blick nach untengerichtet, die Last auf den Schultern balancierend, immer auf der Suche nach Erleichterung. Sah so sein Leben aus? Der Engel verlor die Hoffnung und wurde immer verzagter.

 

Da traf er einen anderen Engel, der ihm Mut machte: „Nimm deine Last nicht so schwer. Vergiss sie wenigstens manchmal und schau den Menschen in die Augen.“ Das half unserem Engel gar nicht weiter. Wie sollte er das, was ihn so niederdrückte, vergessen? Und so lief er traurig und gebeugt weiter durch die Welt, bis er eines Tages auf einem Bahnhof eine Frau am Boden sitzen sah.

 

Sie hatte ein jammerndes, krankes Kind auf dem Schoß und schaute müde zu ihm hoch. Der Engel erkannte, dass diese Frau es noch schwerer hatte als er selbst. Deshalb sagte er zu ihr: „Ich halte dir dein Kind und erzähle ihm etwas, dann kannst du dich ausruhen.“ Er setzte sich neben sie.Die Frau sah ihn dankbar an, gab ihm das Kind und lehnte sich an die Wand.

 

Der Engel hielt das Kind, befühlte seine heiße Stirn und erzählte ihm von dem, was er auf der Welt gesehen hatte. Von den saftigen Wiesen, den akkurat gepflasterten Bürgersteigen und den asphaltierten Straßen, auf denen er gegangen war. Je länger er erzählte, desto ruhiger wurde das Kind. Bald schlief es ein. Der Engel hielt es behutsam und wachte auch über die schlafende Frau. Zum ersten Mal, seit der Engel auf der Welt war, kehrte in seinem Inneren Ruhe ein.

 

Als das Kind erwachte und den Engel ansah, begann es zu lachen: „Du hast ja Flügel!“ Der Engel verstand nicht, was es meinte, merkte aber, dass die Last auf seinen Schultern leichter geworden war. Vielleicht drücken Flügel nur solange schwer auf mir, bis ich sie benutze, dachte der Engel.

 

Auch die Frau wachte auf und schaute mit einem frischen Blick um sich. Dann befühlte sie die Stirn ihres Kindes. "Das Fieber ist verschwunden! Hab vielen Dank.“ Sie sah auf die Uhr und machte sich mit dem Kind auf den Weg. Der Zug, der sie in die Heimat bringen würde, fuhr gerade ein.

 

Der Engel aber vergaß nie mehr, was er an diesem Tag auf dem Bahnhof gelernt hatte. Wenn er sich doch einmal nieder gedrückt fühlte, dann suchte er nach Menschen, denen er Hoffnung und Ruhe schenken konnte. Denn damit half er auch sich selbst.

 

 


Die Geschichte in der Druckversion als PDF

 

 

Muße und Inspiration haben mir in den letzten Tagen das Bild und die Geschichte vom verzagten Engel geschenkt.

Ich gebe beides an Euch weiter und verabschiede mich in die weihnachtlichen Feiertage.

 

Nächste Woche geht es in die letzte Bilder-Pingpongrunde für dieses Jahr und es gibt hier und anderswo zahlreiche Katzen zu bestaunen.

 

Bis dahin: habt es gut und habt eine gesegnete Zeit.

Eure Lucia

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Birgitt (Mittwoch, 23 Dezember 2015 14:18)

    ...eine gute Geschichte, liebe Lucia,
    möge es uns oft gelingen, das was uns drückt zu nutzen für Andere...zu erkennen, wozu das gut ist, was uns vermeintlich drückt...

    frohe Tage dir mit deinen Lieben
    Birgitt
    und herzlichen Dank für die bunte Pragkarte

  • #2

    jahreszeitenbriefe (Dienstag, 29 Dezember 2015 15:21)

    eine ermutigende Engel-Geschichte, liebe Lucia. ich weiß gar nicht, ob ich dir schon für die farbenfrohe Pragkarte gedankt habe. Sie liegt im dicken Stapel der Weihnachtspost, die ich noch einmal ganz in Ruhe durchsehen möchte... Lieben Gruß Ghislana

  • #3

    Luigi (Mittwoch, 30 November 2016 21:45)

    Danke für deine schöne Geschichte! Ich würde mich freuen, wenn du weiter so gut schreiben würdest. Dein Beitrag wird mir am Gymnasium sehr helfen, danke!