das Feuerwerk am anderen Moldauufer, veranstaltet wie zu
unserer Begrüßung
der Pianist, der seine fröhliche Musik unterbricht, lange das Handy ans Ohr hält
und anschließend mit steifem Gesicht Memory spielt
eine Gruppe Teenager mit älterer Frau in ihrer Mitte wartend an einer Ampel, die Jungs
hampelnd am Bordstein, die Mädels an den vorbei laufenden Männer interessiert
Menschen, die durch Stadtplan und Fotoapparat als Touristen erkennbar sind und wir
beide, die genau das zu vermeiden suchen
zwei junge Männer an der Straßenecke, die Vivaldi auf dem Knopfakkordeon spielen und im Takt zittern
Der Jogger am Moldauufer, der uns auf seiner Tour zweimal begegnet
Die Dame am Nachbartisch, die laut sagt, sie will zahlen, bitte, das hätte sie
zweimal schon gesagt
das Jazz-Trio, das die Titelmelodie von Drei Haselnüsse für Aschenbrödel
spielt
zwei Männer am Nachbartisch: beide in der einen Hand die Kuchengabel, in der anderen das Smartphone und vor sich die unberührte Sachertorte
gestapelte runde und lange Brote hier, Fische in gestoßenem Eis da, Gemüse vom
Bauernhof dort und die Prager, die an diesen Marktbuden anstehen
ein Kellner, der uns die tschechische Speisekarte hinlegt, weil wir das Dobry Den
perfektioniert haben
schiebende Menschenmassen vor dem großen blinkenden Tannenbaum
die Tische und Stühle, die vor den Gasthäusern stehen – im Dezember – und die Menschen, die dort sitzen und sich am Glühwein festhalten
viele flackernde Kerzen in roten Hüllen im Dunkel der Tynkirche und keine
Kerze mehr, die noch anzuzünden ist
ein Mann, der auf dem Wenzelsplatz große Seifenblasen zaubert und all die Kinder und Erwachsenen, die lachend in die Höhe springen, um sie zu fangen
das Café Louvre, welches sich seiner Literatenvergangenheit rühmt und den
heutigen Gästen Papier und Stifte bereit legt
heiße Schokolade, die dick und süß vom Löffel tropft
Die Asiatin mit Rollkoffer und Umhängetasche bestückt, im Wind mit Stadtplan und Frisur kämpfend
ein Mann, der sich mit geduldigem Grinsen über seinem Cafe langweilt, zwei
Frauen neben ihm, die schnattern und kichern
Das Prager Straßennetz, aus dem es kein Entkommen Richtung Heimat gibt
Was im November noch als wage Idee galt, wurde letztes Wochenende Wirklichkeit: mein Lieblingstischler und ich waren übers Wochenende in Prag. Die Kinder blieben wohlversorgt daheim – so hatten wir eine seltene und deshalb wertvolle Zeit der Zweisamkeit.
Trotzdem wollte ich auch dort schreiben und habe mich der Schnappschusstechnik bedient. Die Idee stammt aus dem Buch Schreiben dicht am Leben von Hanns-Josef Ortheil übers Notieren und Skizzieren. Erfinder des Notierens als Fotografieren ist Peter K. Wehrli, der auf einer langen Zugfahrt von Zürich nach Beirut den Fotoapparat vergessen hatte und begann, Bilder und Szenen mithilfe der Sprache einzufangen.
- Die sprachlichen Bilder sollen knapp und skizzenhaft sein, sie fixieren einzelne Momentstationen während des Unterwegsseins
- Sie kommen ohne Prädikat aus und wirken dadurch wie eine Andeutung
- Die bewusste Knappheit macht die Notizen eindrücklicher, es entstehen im Idealfall markante Bilder
Soweit die Theorie. Ich nutzte einen kleinen Block (5 mal 5 cm), der mir tags zuvor geschenkt wurde. Sonst ist mein Format mindestens A5. Aber unterwegs war der kleine Block viel praktischer. Mein Ziel war es, jedes Bild auf einer Seite zu notieren. Das klappte auch. Es ging fast so schnell wie fotografieren.
Einmal damit begonnen, sah ich viel genauer hin und hielt Bilder fest, die kein Fotoapparat aufnehmen kann. Schwierig fand ich das Formulieren: knapp und dennoch klar und eindrücklich zu schildern ist eine Herausforderung. Genau deshalb war es eine gute Übung. Oben findet sich mein Ergebnis in chronologischer Reihenfolge, etwas überarbeitet und leicht gekürzt.
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jahreszeitenbriefe (Dienstag, 17 Dezember 2013 13:00)
Den Ortheil-Band mag ich sehr..., da nehme ich auch immer mal wieder was raus zum Schreiben (in Schreibfluss kommen...) mit meinen Schülern... - Schön, dass zweisames Prag möglich war! Und tatsächlich, es entstehen Bilder... ;-) Lieben Gruß Ghislana (1989 zuletzt in Prag gewesen..., sollte ich mal wieder...)
Stefanie Seltner (Mittwoch, 18 Dezember 2013 11:40)
faszinierend!
da kann man sich ja gar nicht satt sehen bzw. lesen...
Britta (Donnerstag, 19 Dezember 2013 12:12)
Super gelungen! Prag in wenigen Worten - wunderbar rübergebracht! SO ist es dort, in meiner LieblingsZweisamZeitStadt :)
Schön, dass Du Dir und uns diese Zeilen mitgebracht hast!
Herzlich!
Britta